Brandschutzgutachten in Mehrfamilienhäusern: Das müssen Sie wissen
Dez, 26 2025
Ein Brandschutzgutachten ist kein formschöner Papierschub, den man irgendwann mal abhakt. Es ist die lebenswichtige Prüfung, die sicherstellt, dass in Ihrem Mehrfamilienhaus im Ernstfall alle Menschen rauskommen - und dass das Feuer nicht durch Wände, Treppenhäuser oder Flure frisst wie ein lebendiges Wesen. In Deutschland gilt: Wer ein Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen errichtet, umbaut oder sanieren will, muss nachweisen, dass es im Brandfall nicht zum Totalschaden wird. Und dieser Nachweis kommt nur von einem staatlich anerkannten Sachverständigen.
Warum gibt es Brandschutzgutachten überhaupt?
Ein Brand in einem Mehrfamilienhaus ist kein Einzelfall. Er ist ein Katastrophen-Szenario, wenn die baulichen Voraussetzungen nicht stimmen. Stellen Sie sich vor: Ein Kabel brennt im Keller. Rauch steigt in den Treppenaufgang. Die Türen zwischen den Wohnungen sind aus Holz, die Flure sind schmal, die Fluchtwege blockiert. In 15 Minuten ist das ganze Haus unbewohnbar. In 20 Minuten ist es zu spät.
Das Brandschutzgutachten verhindert genau das. Es prüft nicht nur, ob die Wände dick genug sind, sondern ob die Flure breit genug sind, ob die Türen richtig schließen, ob die Rauchableitung funktioniert - und ob jemand im Notfall überhaupt noch rauskommt. Es ist die letzte Kontrolle, bevor Menschen in ein Gebäude ziehen. Und es ist gesetzlich verpflichtend.
Welche Gebäudeklasse hat Ihr Haus?
Bevor Sie irgendetwas prüfen, müssen Sie wissen: Zu welcher Gebäudeklasse gehört Ihr Mehrfamilienhaus? Das ist der Schlüssel. Die Gebäudeklasse (GKL) bestimmt, welche Anforderungen gelten - und ob Sie überhaupt ein Gutachten brauchen.
Ab Gebäudeklasse 3 (GKL 3) ist ein Brandschutzgutachten Pflicht. Das sind Mehrfamilienhäuser mit:
- mind. drei Wohneinheiten,
- über 400 Quadratmeter Gesamtnutzfläche,
- und einer Höhe von bis zu 7 Metern.
Ab GKL 4 (Höhe 7-13 Meter, mehr als zwei Geschosse) wird es noch strenger. In vielen Städten wie München, Berlin oder Köln sind fast alle Mehrfamilienhäuser ab 3 Geschossen in GKL 4 oder höher eingeordnet. Und dort gelten ganz andere Regeln.
Die Gebäudeklasse wird nicht willkürlich festgelegt. Sie ergibt sich aus der Bauhöhe, der Anzahl der Wohnungen und der Fläche. Ein Architekt oder Sachverständiger berechnet das. Falsch eingeordnet? Dann ist das Gutachten wertlos - und Sie riskieren eine Baustopps oder sogar eine Räumungsanordnung.
Was muss im Gutachten genau geprüft werden?
Ein vollständiges Brandschutzgutachten ist kein einseitiges Formular. Es ist ein komplexes Dokument mit mindestens drei Säulen:
- Feuerwiderstand der Bauteile: Wände, Decken, Treppen - alles muss eine bestimmte Zeit lang dem Feuer standhalten. In GKL 3 reicht R30 (30 Minuten), in GKL 4 muss es R90 sein (90 Minuten). Das bedeutet: Eine Ziegelwand von 175 mm Dicke reicht aus. Ein Hochlochziegel braucht 240 mm, um das gleiche zu erreichen. Holz? Nicht erlaubt in tragenden Teilen.
- Fluchtwegkonzept: Wie kommt jemand aus der Wohnung auf die Straße? Der Flur muss mindestens 1,00 Meter breit sein - und darf nicht durch Schränke, Heizkörper oder Möbel eingeengt werden. Treppen müssen 0,80 bis 1,00 Meter breit sein. In Altbauten ist das oft ein Problem. Viele haben Flure von nur 70 cm. Lösung? Rauchdichte Schiebetüren, die sich im Brandfall automatisch schließen und im Normalbetrieb unsichtbar in der Wand verschwinden.
- Rauchschutz und -ableitung: Rauch tötet schneller als Feuer. Deshalb muss in Treppenhäusern ab GKL 4 eine automatische Rauchableitung installiert sein - mindestens sechs Luftwechsel pro Stunde. Das ist seit Januar 2024 in Baden-Württemberg Pflicht, und andere Bundesländer folgen. Wer das vergisst, bekommt das Gutachten nicht.
Dazu kommen noch: die Brandlastenfreiheit (keine Holzschuhschränke oder Kunststoff-Kinderwagen in Fluren!), die Klassifizierung aller verwendeten Baustoffe (nach DIN 4102), und die genaue Dokumentation aller Brandabschnitte. Ein Gutachten ohne diese Daten ist nicht gültig.
Was ist der Unterschied zu Einfamilienhäusern?
Ein Einfamilienhaus? Da gilt: Kein Gutachten nötig - es sei denn, es ist über 7 Meter hoch oder hat eine große Dachterrasse. Die Bauaufsicht prüft den Brandschutz dort nicht. Warum? Weil die Gefahr geringer ist. Ein Brand in einem Einfamilienhaus kann oft selbst gelöscht werden - oder die Bewohner haben direkten Zugang nach draußen.
Bei Mehrfamilienhäusern ist das anders. Zehn, zwanzig, manchmal dreißig Menschen leben in einem Gebäude. Ein Brand kann sich schnell durch Treppenhäuser, Aufzugschächte und Lüftungskanäle ausbreiten. Deshalb müssen hier alle Bauteile auf Feuerwiderstand geprüft werden. Deshalb braucht es einen Sachverständigen. Deshalb ist das Gutachten nicht optional - es ist Lebensschutz.
Wie viel kostet und wie lange dauert ein Brandschutzgutachten?
Ein Gutachten für ein Gebäude der GKL 3 kostet zwischen 1.500 und 2.500 Euro. Für GKL 4 sind es 3.000 bis 5.000 Euro - je nach Größe, Alter und Komplexität. Der Aufwand? Ein erfahrener Sachverständiger braucht für GKL 3 etwa 15-20 Stunden, für GKL 4 30-40 Stunden. Das ist kein Schnelltest. Das ist eine detaillierte Prüfung von Wänden, Türen, Fluren, Treppen, Lüftung, Elektroinstallationen - und vielem mehr.
Die Kosten steigen besonders bei Sanierungen. In historischen Gebäuden müssen moderne Brandschutzlösungen in alte Strukturen integriert werden - ohne den Denkmalschutz zu verletzen. Das ist technisch anspruchsvoll. Und teuer. Aber notwendig. Die Architektenkammer Berlin berichtet, dass 37 % der Gutachten für Altbauten abgelehnt wurden - nur wegen zu schmaler Flure oder fehlender Rauchableitung.
Was passiert, wenn das Gutachten fehlt?
Kein Gutachten? Keine Baugenehmigung. Keine Einweisung. Keine Besetzung. Die Bauaufsicht lässt kein Gebäude in Betrieb gehen, wenn das Gutachten nicht vorliegt. Das gilt auch für Sanierungen. Wer das ignorieren will, riskiert:
- Baustopp durch die Behörde,
- Bußgelder bis zu 50.000 Euro,
- Haftung bei Unfällen oder Todesfällen,
- und möglicherweise den Verlust der Versicherung.
Und das ist nicht nur theoretisch. In Regensburg wurde 2023 ein Mehrfamilienhaus nach der Fertigstellung stillgelegt, weil die Fluchtwegbreite nicht nachgewiesen war. Die Mieter mussten ausziehen. Der Investor verlor 18 Monate Zeit und über 200.000 Euro.
Was ändert sich in Zukunft?
Die Anforderungen werden nicht weniger - sie werden komplexer. Ab 2025 ist ein Brandschutzmanagementsystem nach DIN SPEC 1501-1 für alle Gebäude mit mehr als 50 Nutzern Pflicht. Das bedeutet: Das Gutachten ist nicht einmalig. Es muss jährlich überprüft und aktualisiert werden - besonders wenn neue Türen, Fenster, Lüftungsanlagen oder Ladestationen für Elektroautos eingebaut werden.
Und ab 2026 sollen alle Gutachten digital in BIM-Modellen gespeichert sein. Kein Papier mehr. Keine verlorenen Unterlagen. Alles im digitalen Gebäude-Modell - aktualisiert, nachvollziehbar, für die Feuerwehr zugänglich. Die EU-Bau-Produkteverordnung (BauPVO) verschärft ab 2026 auch die Anforderungen an die Brandverhalten von Baustoffen. Holz, Kunststoffe, Dämmmaterialien - alles wird strenger geprüft.
Wer heute ein Gutachten in Auftrag gibt, sollte darauf achten, dass es diese zukünftigen Anforderungen berücksichtigt. Sonst ist es in drei Jahren schon veraltet.
Wie finden Sie den richtigen Sachverständigen?
Nicht jeder, der sich „Brandschutzexperte“ nennt, ist staatlich anerkannt. Nur wer von der zuständigen Bauaufsichtsbehörde (in Bayern z. B. das Landesamt für Bau und Verkehr) offiziell anerkannt ist, darf ein gültiges Gutachten ausstellen. Prüfen Sie:
- Den Namen im Verzeichnis der Landesbauordnung (online verfügbar).
- Ob er Erfahrung mit Ihrem Gebäude-Typ hat (Altbau, Neubau, Denkmal).
- Ob er auch die Rauchableitung und BIM-Planung kennt - das ist heute Standard.
Ein guter Sachverständiger erklärt Ihnen nicht nur, was fehlt - er zeigt Ihnen auch, wie man es löst. Ohne unnötige Kosten. Ohne Denkmalschutz-Konflikte. Und ohne dass Sie monatelang auf die Genehmigung warten.