Bauüberhang und Fristen: Wie Baugenehmigungen verfallen und was Sie jetzt tun müssen
Dez, 9 2025
Stellen Sie sich vor: Sie haben monatelang geplant, Dokumente gesammelt, mit dem Architekten beraten und endlich die Baugenehmigung in Händen. Alles ist klar. Doch drei Jahre später steht Ihr Haus noch nicht mal im Boden. Warum? Weil die Genehmigung verfallen ist. Und das passiert in Deutschland immer öfter.
Was bedeutet eigentlich Bauüberhang?
Die meisten Bundesländer geben Ihnen drei Jahre, um mit dem Bau zu beginnen. Wenn Sie innerhalb dieser Zeit nicht mit dem Aushub oder der Fundamentierung angefangen haben, ist die Genehmigung erloschen. Kein Brief, keine Erinnerung - einfach weg. Und wenn Sie einmal angefangen haben, dürfen Sie maximal drei Jahre lang pausieren. Danach verfällt die Genehmigung ebenfalls.
Warum verfallen so viele Baugenehmigungen?
Es ist nicht so, dass Bauherren faul sind. Es liegt an den Umständen. Seit 2020 hat sich alles verändert. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise - alles hat die Baubranche getroffen. Materialien wie Holz, Stahl oder Dämmstoffe wurden knapp und teuer. Zinsen stiegen, Handwerker wurden rar. Viele Bauherren konnten nicht mehr finanzieren, andere hatten keine Bauarbeiter mehr.
Im Mai 2024 hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) 1.200 Bauunternehmen befragt. 67 Prozent sagten: Wir mussten genehmigte Projekte verschieben oder ganz streichen - wegen steigender Kosten und Zinsen. Das ist kein Einzelfall. In Lüneburg, Hamburg oder München berichten Architekten von Projekten, die jahrelang auf Eis lagen, weil die Finanzierung nicht mehr passte.
Doch es gibt noch einen anderen Grund: Die Regeln ändern sich. Sie haben eine Genehmigung für ein Haus mit klassischer Dämmung. Doch seit 2023 gilt die neue EnEV. Jetzt brauchen Sie eine Wärmepumpe, dickeres Dämmmaterial, andere Fenster. Ihre alte Genehmigung ist nicht mehr gültig. Sie müssen alles neu einreichen. Und das kostet Zeit - Zeit, die Sie nicht haben.
Wie funktioniert die Fristverlängerung?
Sie haben noch drei Monate bis zum Ablauf? Dann handeln Sie jetzt. Die Verlängerung ist nicht automatisch. Sie müssen einen schriftlichen Antrag stellen - und zwar bei der Baubehörde, die Ihre Genehmigung erteilt hat. In Niedersachsen, Bayern oder Nordrhein-Westfalen ist das meist das Landratsamt oder die Stadtverwaltung.
Die Verlängerung ist möglich, aber nicht einfach. Sie müssen nachweisen, dass Sie den Bau wirklich vorhaben. Und: Ihr Projekt muss den aktuellen Rechtsvorschriften entsprechen. Das bedeutet: Wenn sich die Energieeinsparverordnung geändert hat, müssen Sie Ihre Pläne anpassen. Das kostet Geld. Ein Architekt muss die Unterlagen überarbeiten, neue Gutachten erstellen. Die Gebühren dafür liegen zwischen 200 und 2.000 Euro - je nach Größe und Komplexität.
Wichtig: Die Verlängerung kann auch rückwirkend beantragt werden - aber nur, wenn der Antrag vor Ablauf der Frist bei der Behörde eingegangen ist. Wenn Sie zu spät kommen, ist es zu spät. Kein Nachtrag, keine Ausnahme.
Und das ist kein theoretisches Risiko: Im Jahr 2023 sind 22.700 Baugenehmigungen erloschen - einer der höchsten Werte seit 2006. Das sind nicht nur kleine Einfamilienhäuser. Das sind auch Mehrfamilienhäuser, Seniorenwohnungen, Sozialwohnungen - genau die, die Deutschland dringend braucht.
Wie sieht der Baufortschritt wirklich aus?
Ein Blick auf die Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zeigt: Die meisten genehmigten Projekte kommen nicht voran. 2024 haben noch 48 Prozent der Wohnungen, für die eine Genehmigung vorliegt, gar nicht erst mit dem Bau begonnen. 24 Prozent sind noch nicht unter Dach, nur 28 Prozent sind rohbaufertig. Im Vorjahr war das noch besser: Da waren nur 44 Prozent noch nicht gestartet.
Das heißt: Fast die Hälfte der genehmigten Projekte steht still. Und warum? Weil die Bauherren nicht mehr wissen, ob sie es sich leisten können. Weil die Handwerker nicht verfügbar sind. Weil die Materialien nicht lieferbar sind. Oder weil sie einfach Angst haben, dass die Genehmigung verfällt, wenn sie jetzt starten - und sie nicht wissen, ob sie die Frist verlängern können.
Was tun, wenn die Frist abgelaufen ist?
Wenn Ihre Genehmigung schon verfallen ist, ist das kein Ende. Aber es ist ein Neuanfang. Sie müssen den gesamten Antrag neu einreichen - mit aktuellen Plänen, neuen Gutachten, neuen Kostenberechnungen. Und das dauert wieder 6 bis 12 Monate. In der Zwischenzeit ist Ihr Grundstück wertlos. Kein Kredit, kein Verkauf, keine Nutzung.
Manche Bauherren versuchen, das Problem zu umgehen, indem sie nur einen Teil des Projekts bauen - zum Beispiel erst die Garage oder ein Nebengebäude. Das ist riskant. Die Behörden prüfen, ob der Bau tatsächlich mit dem genehmigten Vorhaben übereinstimmt. Wenn nicht, können sie den Bau untersagen - und Sie zahlen für alles, was schon gebaut ist.
Wie vermeiden Sie den Verfall?
Es gibt drei klare Regeln:
- Planen Sie die Fristverlängerung früh ein. Sechs Monate vor Ablauf sollten Sie den Antrag vorbereiten. Nicht drei Monate. Nicht einen Monat. Sechs Monate. Die Behörden brauchen Zeit. Und wenn etwas fehlt, haben Sie noch Luft.
- Halten Sie Kontakt zur Baubehörde. Fragen Sie nach, ob sich die Vorschriften geändert haben. Fragen Sie, ob Ihre Pläne noch aktuell sind. Viele Bauherren warten, bis die Frist abgelaufen ist - und dann ist es zu spät.
- Starten Sie den Bau, auch wenn er klein ist. Ein paar Meter Fundament, ein paar Ziegelsteine, ein kleiner Aushub - das reicht, um die Frist zu halten. Sie müssen nicht das ganze Haus bauen. Sie müssen nur anfangen. Und das ist der Unterschied zwischen einer genehmigten und einer verfallenen Baugenehmigung.
Die Bauzeit ist heute durchschnittlich 26,5 Monate - fast ein Jahr länger als vor der Pandemie. Das bedeutet: Wenn Sie mit der Planung beginnen, rechnen Sie mit drei Jahren. Und dann planen Sie noch ein Jahr drauf - für Verzögerungen, Änderungen, Fristverlängerungen.
Was bedeutet das für die Wohnungsnot?
Deutschland braucht 920.000 neue Wohnungen. Der Bauüberhang liegt bei 845.000. Das klingt, als wäre die Lösung einfach: Bauen Sie einfach die genehmigten Projekte fertig. Aber das geht nicht, wenn die Genehmigungen verfallen. Jede verlorene Genehmigung ist eine verlorene Wohnung. Und das ist kein kleines Problem. Das ist ein Systemversagen.
Prof. Dr. Christina Kockel von der TU Berlin sagt es klar: Die Fristen müssen an die Realität angepasst werden. Drei Jahre sind heute zu kurz. Die Bauzeit ist länger. Die Planung ist komplexer. Die Genehmigungsverfahren dauern länger. Und die Finanzierung ist unsicherer.
Die Bundesregierung hat mit der Wohnraumoffensive versucht, etwas zu ändern. Aber die Zahlen zeigen: Im ersten Halbjahr 2024 wurden 12,7 Prozent weniger Wohnungen fertiggestellt als im Vorjahr. Die Baugenehmigungen sind nur um 1,3 Prozent gestiegen. Die Lücke wird größer.
Wenn nichts passiert, prognostiziert der Immobilienverband IVD: Bis 2025 könnte der Bauüberhang über eine Million Wohnungen erreichen. Und das bedeutet: Noch mehr genehmigte Projekte, die nicht gebaut werden. Noch mehr verfallene Genehmigungen. Noch mehr Wohnungsnot.
Was bleibt?
Sie haben eine Baugenehmigung? Dann handeln Sie jetzt. Prüfen Sie, wann sie abläuft. Fragen Sie die Behörde, ob Ihre Pläne noch gültig sind. Reichen Sie den Verlängerungsantrag ein - auch wenn Sie noch nicht bauen können. Und wenn Sie noch nicht begonnen haben: Machen Sie wenigstens etwas. Ein paar Meter Aushub, ein paar Ziegel, ein Bauzaun. Das reicht. Es hält die Genehmigung am Leben.
Es geht nicht darum, perfekt zu bauen. Es geht darum, nicht zu verlieren. Denn eine verfallene Baugenehmigung ist nicht nur ein Papier, das nicht mehr gilt. Sie ist ein verlorener Traum. Und in Deutschland, wo Wohnraum knapp ist, kann sich keiner mehr leisten, Traum zu verlieren.